Wie in so manch anderem Forum auch kommt auch hier ab und zu der Kommentar auf, dass man doch gar nicht alles wisse und vielleicht mit ausreichend Bastlermotivation ja doch noch der ganz große Wurf gelingt, der die Physik wie wir sie kennen auf den Kopf stellt. Dabei meine ich gar nicht mal die ganze freie Energie Fraktion, sondern Bastler, die sich hobbymäßig mit der Materie beschäftigen und sich Gedanken rund um das Thema machen.
Passend dazu möchte ich unbedingt dieses Video empfehlen. Es kommt zwar aus dem Bereich der (populärwissenschaftlichen) Mathematik, lässt sich aber eigentlich 1:1 auf oben genanntes übertragen. Für einige ist es sicherlich eine Belustigung, ich möchte aber betonen, dass ich niemanden bloßstellen oder ankreiden will. Es ist als ehrlicher Denkanstoß gemeint.
Die Kernbotschaft ist direkt in den ersten 5 Minuten enthalten, sowie beim ersten wirklichen Beispiel bei 08:57, danach folgen "nur" noch lehrreiche Beispiele mit amüsanten Kommentaren. Wem auch 5 Minuten zu lang sind kann auch nur bei 01:29 und 04:00 reinhören oder nachfolgende Zitate lesen.
[...] Und dann gibt es noch die klassischen Konstruktionsprobleme der Antike. Die sind zwar seit langer Zeit geklärt, aber in gewissen Kreisen immer noch populär. [...] Der Witz an diesen Problemen ist, dass die, die sich damit beschäftigen, diese Beweise nicht verstehen und einfach nicht akzeptieren wollen, dass sie wahr sind. Sie wollen etwas erreichen von dem schon lange klar ist, dass es nicht geht. Und sie wollen nicht akzeptieren, dass es nicht geht. Es scheint einfach zu verlockend zu sein mit Zirkel und Lineal herumzufuhrwerken.
Das trifft natürlich auf die Freunde der Freien Energie zu, aber eben nicht nur. Es betrifft auch viele Hobbyelektroniker, -physiker, -wasauchimmer. Zumindest wenn ich so auf die Elektronik blicke, möchte ich behaupten, dass die Kenntnisse der meisten irgendwo auf dem Stand von vor 50-150 Jahren sind. Das ist keine Kritik; da wurden halt einfach die grundlegenden Beschreibungen gemacht, die auf Hobbyniveau interessant sind. Aber von diesem ~100 Jahre alten Standpunkt her behaupten zu wollen man hätte auch nur den Funken einer Chance bei aktuellen Forschungsthemen was beitragen zu können scheint mir mehr als anmaßend. Und selbst wenn du Carl Benz persönlich wärst, würdest du beim einfachen Mechaniker um die Ecke blöd aus der Wäsche kucken - geschweige denn bei irgend einer heutigen Entwicklungsabteilung mithalten können.Hilfreich ist auch, wenn man sich darüber informiert, was schon bekannt ist. [Liest Idee aus Zusendung vor]. Wenn das wirklich seine eigene Idee war, dann ist das nicht dumm. Aber, diese Idee hatten schon Menschen, die sich im 19. Jahrhundert mit der Frage beschäftigt haben. Man nennt das die grafentheoretische Formulierung und seit etwa 100 Jahren wird das Problem in Fachkreisen nur noch so formuliert. Ein Blick auf Wikipedia hätte gereicht um das herauszubekommen.
Ein wenig in die gleiche Kerbe schlagen die ganzen Kommentare von wegen "Akademiker haben ja keine Ahnung [von der Praxis]" oder "was diese Akademiker so glauben ist ja eh nur theoretisch, idealisiert, kann die Realität gar nicht beschreiben". Bullshit (sorry...). Zumindest so wie es hier oft gemeint ist. Ja, manch einer mag nicht wissen, dass Widerstände standardmäßig 5% Toleranz haben. Die falsche Schlussfolgerung für manche ist dann aber, dass das "theoretische" U=R*I gar nicht korrekt ist weil toleranzbehaftet. Nö. U=R*I stimmt immer noch haargenau. Nur die Beschriftung auf dem Widerstand stimmt nicht 100%. Ein Bauteil mit einem Widerstandswert von 5 Ohm wird bei 1A immer 5V Spannungsabfall haben. Immer. Egal ob der jetzt Shunt, Widerstand, MOSFET oder Sonnenblume heißt. Und egal ob a "5R", "5R1" oder "Ludwig" drauf steht.
Ja aber wenn ich ihn warm mache - ja dann hat er auch keine 5 Ohm mehr. Ja aber dann ist die Formel ja nutzlos - nö. Du musst nur wissen wann du sie verwenden kannst, oder dir die Mühe machen nachzulesen wie der Temperatureinfluss modelliert wird. Um's etwas formeller auszudrücken, der Fehler ist nicht, dass in der Formel etwas fehle ("U=R*I+x"), sondern dass U, R, I ggf. nicht konstant sind. Zeit- und Temperaturabhängigkeit sind nur zwei Beispiele.
Das Beispiel war bewusst einfach gewählt, lässt sich aber beliebig übertragen. Bastler modellieren die ganzen unliebsamen Effekte i.d.R. nicht. Dafür gibt's Faustregeln. Daraus zu schlussfolgern, die Effekte seien formell nicht beschreib-, berechen- oder simulierbar, ist mMn erneut eher anmaßend - und i.a.R. falsch.
Aktuelle Forschung und Entwicklung muss eigentlich zwingend all diese Effekte korrekt modellieren, um Fortschritte bei Leistungsdichte, Effizienz, etc. zu machen. Daher können die auch nen 70kW Elektromotor kleiner als nen Bierkasten bauen, der a) auch wirklich 70kW leistet bei dem Volumen, und b) nicht abfackelt. Das macht hier keiner (erneut, nicht böse gemeint).
Passend dazu dachte ich, lass ich einfach mal den Link hier zu Abschlussarbeiten rund um elektrische Maschinen. Überraschung, eine davon dreht sich ganz explizit um Fertigungstoleranzen. https://www.eti.kit.edu/2820.php
Liebe Grüße,
Max